Das Kind muss ins Bett!
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Tipps - Was tun, wenn Ihr Kind nicht einschläft?
 
Eva Hermans Stillbuch und die Kompetenz deutscher Medien
 
Wovon wir nie zu träumen gewagt hätten, ist im Herbst 2003 eingetreten: eine prominente Persönlichkeit hat sich ernsthaft mit dem Thema Stillen auseinandergesetzt. Die Tagesschausprecherin Eva Herman erzählt in ihrem Buch "Vom Glück des Stillens" über ihre eigenen Erfahrungen als Mutter eines Sohnes. Darüber hinaus stellt sie Informationen und Empfehlungen vor, die sie in Zusammenarbeit mit der WHO, Ärzten, Hebammen, Stillberaterinnen und anderen Eltern gesammelt hat und die somit dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen.
 
Eva Herman spricht sich auf eine sehr offene, persönliche Art und Weise für das Stillen aus. Bei öffentlichen Auftritten, in denen sie über ihr Buch informierte, berichtete sie, dass sie ihren Sohn ein Jahr lang gestillt hatte und dies ohne weiteres auch länger getan hätte. Auch erwähnte sie Punkte, auf die sie in ihrem Buch näher eingehen würde: die gesundheitlichen Vorteile des Stillens für Mutter und Kind und die teilweise aggressive Vermarktung der Babynahrung, die besonders in Dritte-Welt-Ländern großen Schaden anrichtet.
 
Das Buch der Tagesschausprecherin beschreibt außerdem im allgemeinen, wie positiv sich viel Nähe und Körperkontakt auf ein Kind auswirken. Ihr eigener Sohn schläft des öfteren noch bei ihr, und sie erzählt offen, dass sie ihn gern in den Schlaf begleitet. So plant sie außerdem, einen Schlafratgeber zu verfassen, in dem sie auch gängige Schlaftrainings ablehnen wird.
 
Leider ist es heutzutage immer noch ungewöhnlich, dass Mütter offen über eine Art der Kindererziehung sprechen, die gängigen gesellschaftlichen Konventionen widerspricht. So bedeutete es eine doppelt freudige Überraschung, dass sich zudem eine Person des öffentlichen Lebens so positiv über diese Punkte äußerte. Gleichzeitig warteten wir ein wenig besorgt auf die Reaktion der Medien. Die Bild-Zeitung und n-tv beispielsweise antworteten auch prompt und bestätigten unsere Befürchtung, wie tief Vorurteile und Klischees noch in unserer Gesellschaft verwurzelt sind.
 
Marion Horn, stellvertretende Chefredakteurin der Bild-Zeitung, hat sich selbst die Ehre gegeben und am 14. Oktober 2003 einen Artikel geschrieben, der ihrer früheren Stellung als Chefredakteurin der Sexzeitung "Wochenend" würdig ist. In diesem zeigt sie, dass sie für ihre bisherige Arbeit Recherche und sachliche Argumentationen anscheinend nicht benötigte. So schließt sie sich zunächst einmal den Vorwürfen an, in denen Mütter, die länger als die gerade eben geduldeten sechs Monate zu stillen wagen, als "Supermütter" oder "Übermütter" tituliert werden.
 
Der Hauptgrund gegen längeres Stillen scheint bei ihr die Sorge der durchbrechenden Zähne des Kindes zu sein. Ihrer Meinung nach ist Eva Herman diesbezüglich vollkommen ungebildet. Die Tatsache, dass Langzeitstillen seit Entwicklung des Menschen existiert und Stillen beim zahnenden Kind nicht wirklich ein ernsthaftes Problem darstellt, scheint ihr völlig entgangen zu sein. Auch der Gedanke, dass Eva Herman aufgrund ihrer zwölf Monate Stillzeit mit dieser Frage vertraut sein dürfte, schien ihr nicht gekommen zu sein.
 
Des weiteren bedenkt sie Mütter, die ihre Kinder gern bei sich schlafen lassen, mit netten Komplimenten wie "stillendes Mutti" und scheint zu glauben, dass solche Frauen aufgrund ihrer Lebensumstände darauf angewiesen sind, ihre Kinder auf offenem Feld zur Welt zu bringen. Einen für Bild-Leser offensichtlich sehr wichtigen Aspekt bringt sie gleich zu Beginn ihres Artikels an: Eva Herman ist alleinerziehende Mutter. An dieser Stelle bedanken wir uns herzlich dafür, dass auch dieses Klischee wieder einmal aufgewärmt wird: die alleinerziehende Mutter benutzt das Kind als Ausgleich für den fehlenden Lebensgefährten.
 
Die Frage, ob man auch mit Familienbett ein Eheleben praktizieren kann, scheint Marion Horns Vorstellungsvermögen und Phantasie hoffnungslos zu überfordern. Das Eheleben streng katholischen Klientels, das ausschließlich im abgedunkelten Elternschlafzimmer und selbstverständlich ohne Kinder im Ehebett mit seinem Ehepartner intim wird, scheint ein geeigneteres Thema für sie zu sein - doppelt überraschend angesichts ihrer früheren Arbeit bei "Wochenend".
 
Sabine Oelmann, die einen Artikel für n-tv verfasste, war leider nicht in der Lage, sich qualifizierter zu äußern. Die n-tv-Autorin brachte es ebensowenig fertig, vor Verfassen ihres Verrisses einige Informationen einzuholen und über ihren beschränkten Tellerrand hinauszusehen. Das von ihr wieder einmal heraufbeschworene Klischee der "Übermutter", die, nur weil sie lange stillt und Familienbett praktiziert, vollständig auf ihr eigenes Leben verzichtet, bedarf keines weiteren Kommentars. Abgerundet wird das kunstvolle Gebäude engstirniger Vorurteile durch das Bild des erwachsenen Sohnes, der noch gestillt wird.
 
Beide Autorinnen fordern, dass Eva Herman von weiteren Veröffentlichungen absehen solle, weil ihr das nötige Grundwissen fehle. Dabei scheint ihnen vollkommen entgangen zu sein, dass, ganz im Gegensatz zu ihnen, Eva Herman sich vor dem Schreiben informiert hat.
 
Eigentlich waren solche Reaktionen zu erwarten, und dass die Bild-Zeitung keine ernstzunehmenden Äußerungen fertigbringen würde, überrascht ohnehin nicht. Dennoch stimmt es traurig, dass solche Autoren es immer wieder vorziehen, durch reißerische, unqualifizierte Machwerke Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, anstatt sich sachlich mit solchen Themen zu befassen. Noch erschreckender ist der Gedanke, dass solche Artikel bei einem Teil unserer Bevölkerung sicherlich noch auf Zustimmung stoßen und wieder einmal viele Mütter verunsichert werden.
 
"Ach ja, die gute alte Zeit!" schimpft Marion Horn, die sich über einen kleinen anthropologischen Exkurs in Eva Hermans Buch ereifert - ja, auch die gute alte Zeit, in der man lange stillenden Müttern vorwirft, wie sehr sie ihre Kinder doch verwöhnen und unterernähren, ist anscheinend noch nicht vorbei.
 
Die aggressive Werbung für Babynahrung in den siebziger Jahren und die damals völlig mangelhafte Stillberatung haben deutliche Spuren hinterlassen: auch in Elternzeitschriften sind neben Werbeanzeigen für Babynahrung überwiegend Empfehlungen zu finden, die sich an Ratgebern wie "Jedes Kind kann schlafen lernen" orientieren.
 
Einen kleinen Lichtblick stellt zur Zeit die Zeitschrift Eltern dar, die ankündigte, in einer ihrer nächsten Ausgaben einen Artikel über das Langzeitstillen zu veröffentlichen. Im Oktober 2003 erschienen in "Eltern" bereits einige Leserbriefe zu diesem Thema, die überwiegend positiv ausfielen. Nur ein einziger sehr negativer Brief war von einer Dame verfasst worden, die zufälligerweise den Nachnamen "Tittler" trägt.
 
Solange allerdings engstirnige Boulevard-Autoren einen PC bedienen und mit unsachlichen Ergüssen die Öffentlichkeit beglücken dürfen, werden wir es mit einem gewissen Maß an Toleranz weiterhin schwer haben. "Eva Hermans Thesen über Stillen und Kindererziehung empören viele Mütter" behauptet Marion Horn in der Kopfzeile ihres Artikels und verletzt damit ebensoviele Mütter, die sich Eva Hermans Aussagen gern anschließen würden. Weiterhin schlägt die ehemalige Sex-Redakteurin vor: "Haben Sie von irgendetwas keine Ahnung? Dann schreiben Sie doch ein Buch darüber!"
 
Eine sich für solche Schreiber selbst erfüllende Aufforderung, mit der sie ihre eigene lückenhafte Bildung auf diesem Gebiet bloßstellen und einen Ausspruch von William James bestätigen: "Denken ist das, was viele Leute zu tun glauben, wenn sie lediglich ihre Vorurteile neu ordnen."
 
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© 2003 by Britta Nowak
 
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