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Über die professionellen Einschlafmethoden
Der Traum vieler Eltern: Abends legt man das Kind in sein
eigenes Bettchen (natürlich Punkt 18:00), zelebriert ein
kurzes Einschlafritual von vielleicht fünf bis zehn
Minuten, und das Kind schläft wie ein Engel bis zum
nächsten Morgen durch.
In vielen Fällen sieht die Realität leider anders aus.
Das Kind schreit oder versucht, aus dem Bettchen zu klettern. Es
bastelt aus seinem Schlafsack und den Bettlaken eine
Strickleiter, um damit das Gitter zu überwinden. Es will
partout nicht alleine einschlafen.
Dem muss abgeholfen werden, dachten sich
diverse Schlafforscher. Schließlich sind das nur schlechte
Angewohnheiten. Jedes Kind kann alleine einschlafen und
durchschlafen. Man muss es nur dazu erziehen. Und so wurden
verschiedene Methoden entwickelt, ein Kind zum selbständigen
Schlafen zu bringen.
Als Beispiel sei hier die Ferber-Methode
genannt. Diese sieht folgendes Ritual vor:
Man bringt das Kind abends wie gewohnt ins Bett. Wenn es zu
schreien beginnt, wartet man einige Minuten ab, bevor man in
sein Zimmer geht und es beruhigt. Dabei darf man es allerdings
nicht aus dem Bettchen nehmen oder gar herumtragen, damit es
sich nicht an diesen Luxus gewöhnt.
Anschließend wartet man abermals einige Minuten ab. Falls
das Kind wieder zu weinen beginnt, geht man erneut kurz zu ihm.
Die Perioden, in denen man das Kind schreien lässt, sollen
sich dabei kontinuierlich verlängern. Mit der Zeit soll der
kleine Schreihals begreifen, dass sein Aufbegehren keinen Zweck
hat.
Selbstverständlich hat der Ingenieur dieser
Einschlafmethode die einzuhaltenden Intervalle akribisch genau
ausgearbeitet. Diese Daten stehen den eifrigen Eltern in Form
einer ausführlichen tabellarischen Darstellung zur
Verfügung.
Ein der Ferber-Methode sehr verwandter Behandlungsplan, der nach
dem gleichen Prinzip vorgeht, ist die sogenannte
Freiburger-Sanduhr-Methode,
in der die einzuhaltenden Zeiten mit einer Sanduhr gemessen werden.
Ehrlich gesagt mussten wir bei diesen Einschlaftipps etwas
schmunzeln, als wir uns die Eltern vorstellten, die mit einer
Stoppuhr oder Sanduhr vor dem Kinderzimmer sitzend die Minuten
abzählen. Zwar mögen sich derartige Methoden bereits
vielfach bewährt haben, uns erscheint ein solch starr
reglementierter Umgang mit dem eigenen Kind jedoch eher wie eine
Form von Dressur.
Natürlich kommt man auch mit einer Dressur zum Ziel, aber
ist es wirklich das, was Sie wollen?
Ohne Zweifel lernt das Kind bei diesem Vorgehen, allein zu
schlafen, allerdings lernt es durch Resignation. Es gewinnt
lediglich die Erkenntnis, dass sein Schreien keinerlei
Kommunikationswert hat. Auch ist es vorgekommen, dass diese
Methode gerade bei sensiblen Kindern das Schlafproblem nur
verschlimmert hat. So manches Baby ist durch dieses
Vorgehen verschreckt worden.
Babies können noch nicht verstehen, dass sie von ihren
Eltern nicht für immer verlassen werden und haben folglich
Angst, wenn sie alleingelassen werden, da sie für ihr
Überleben auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen sind.
Wann müssen Kinder durchschlafen? Ist es wirklich
unentbehrlich, dass sie alleine einschlafen? Entsprechen derart
anerzogene Gewohnheiten ihren natürlichen
Bedürfnissen?
Eine völlig andere Sichtweise fanden wir beispielsweise in
den Artikeln von Dr. Katherine A. Dettwyler,
einer Professorin für Anthropologie und
Ernährungswissenschaften.
Da Kinder ein großes Bedürfnis nach Geborgenheit
haben, betrachtet sie es als völlig natürlich, dass
Kinder die Nähe der Mutter auch während des Schlafs
benötigen.
Warum sollte es auch anders sein? Schließlich verbringt
das Kind neun Monate in der völligen Geborgenheit des
Mutterleibes. Seitdem es hören konnte, wurde es von
vertrauten Geräuschen begleitet. Es hörte täglich
die Stimmen seiner Eltern, den Herzschlag seiner Mutter und
vieles mehr.
Durch die Geburt ergab sich eine große Umstellung. Das
Kind wurde aus dieser vollkommenen Geborgenheit herausgerissen,
so dass ein völlig neuer Lebensabschnitt begann. Erstmalig
lernte es Wärme und Kälte kennen, es wurde mit Hunger,
Bauchweh und manchen anderen Unannehmlichkeiten konfrontiert, die
ihm bisher völlig fremd waren.
Sollte man da wie selbstverständlich von einem Baby
erwarten, dass es von heute auf morgen seine Nächte in
völliger Stille und Einsamkeit verbringt, wo es doch vorher
an eine kontinuierliche sanfte Geräuschkulisse gewöhnt
war? Muss dem Kind der Wunsch nach mütterlicher Nähe
auch in der Nacht schnellstens abgewöhnt werden, so als
handle es sich um eine schlechte Angewohnheit?
Kaum ist ein Baby auf der Welt, muss es Anforderungen
erfüllen und Maßstäben genügen. Entwickelt
es sich entsprechend der gängigen Größen- und
Gewichtstabellen? Folgt es den Entwicklungskalendern? Ab welchem
Alter schläft es durch und ist selbständig genug,
alleine einzuschlafen?
Ein Kind hat genügend Zeit, selbständig zu werden.
Gönnen wir unseren Kleinen doch für die erste Zeit die
nötige Nestwärme!
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