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Tragen von Babies und Kleinkindern
In unserer Kultur ist der Anblick von Kindern, die getragen werden,
eher ungewöhnlich. Üblicherweise sieht man die Kleinen im
Kinderwagen, so dass dies die einzige Möglichkeit zu sein
scheint, ein Kind zu transportieren. Der Kinderwagen ist jedoch,
ebenso wie das eigene Kinderbett, eine Erscheinung der modernen
Zeit. Die Kinder unserer Vorfahren wurden getragen, bis im Laufe
des 19. Jahrhunderts in Europa der Kinderwagen modern wurde.
Bei Naturvölkern ist es heute noch üblich, Babies und
Kleinkinder zu tragen, und auch bei uns werden die Vorteile des
Tragens langsam wiederentdeckt. Jean Liedloff, die Autorin des Buches
"Auf der Suche nach dem verlorenen Glück",
verbrachte zwei Jahre bei einem Stamm der Yequana-Indianer und
beobachtete den engen Kontakt, den die Mütter dort zu ihren
Kindern pflegen. Auch viele Kinderärzte und Experten
haben in Studien erkannt, dass es von Vorteil ist, wenn Babies
häufig getragen werden.
Vorteile des Tragens
Ein Baby scheint mit der Erwartung geboren zu werden, oft am
Körper getragen zu werden. Der Greifreflex und das Anziehen
der Beine, wenn es hochgehoben wird, weisen offensichtlich darauf
hin, dass das Kind ein Tragling ist. Auch die Zusammensetzung der
Muttermilch lässt darauf schließen, dass es von der
Natur vorgesehen ist, unseren Nachwuchs ständig bei uns zu
haben. Muttermilch ist reich an Kohlehydraten und schnell verdaut,
so dass solche Jungen öfter gefüttert werden müssen.
So ist es nur natürlich, wenn ein Kind ständigen Kontakt
zu seiner Mutter hat.
Gerade in der ersten Zeit nach der Geburt ist ein Baby von der
Schwangerschaft den ununterbrochenen Kontakt zu der Mutter
gewöhnt, es war von vertrauten Geräuschen umgeben und
wurde sanft geschaukelt. Legt man das Kleine in ein separates
Zimmer, fühlt es sich alleingelassen. Die Stille und Leere
wirken beängstigend, da es die Einsamkeit als eine
lebensbedrohende Situation empfindet. Durch das Tragen erfährt
das Kind weiterhin viel Nähe und Geborgenheit.
Das Tragen wirkt sich in vielen Aspekten positiv auf die
Entwicklung eines Kindes aus. Dadurch, dass es ständigen
Kontakt zu seiner Mutter hat und sie überallhin begleitet,
erhält es eine Vielzahl von Anregungen. Dies führt zu
einer vermehrten Verknüpfung von Nervenzellen im Gehirn.
Gleichzeitig vermittelt der enge Kontakt zur Mutter ein Gefühl
der Sicherheit. Das Baby ist weiterhin von vertrauten
Geräuschen umgeben, hört den Herzschlag der Mutter und
nimmt ihren Geruch wahr. Die rhythmische Bewegung beruhigt das
Kind, so dass es auch in einer geräuschvollen Umgebung
schlafen kann.
Auch der Gleichgewichtssinn wird durch das Tragen stimuliert.
Die Bewegung bewirkt Schwerpunktverlagerungen, die wiederum beim
Kind zu einer Reflextätigkeit von Muskeln und Nerven
führen. In einigen Kliniken wird heutzutage dieser Effekt bei
der Behandlung von Frühgeborenen ausgenutzt. Durch die
Nähe zu der Mutter erhält das Baby ausreichend
Körperkontakt, der erwiesenermaßen für seine
Entwicklung wichtig ist. Gleichzeitig kann es in der aufrechten
Position besser aufstoßen, und durch das Schaukeln wird sein
Bauch massiert. So kann das Tragen auch Verdauungsproblemen
entgegenwirken.
Der Kontakt zu anderen Personen ist für ein Baby leichter, wenn
es getragen wird. Es befindet sich auf gleicher Höhe mit seiner
Mutter und kann ihr so ins Gesicht sehen. Im Kinderwagen liegend
wird es ihm schwerer fallen, seine Umwelt zu beobachten, da es die
Umgebung von unten sieht und viel zu weit von seinen Bezugspersonen
entfernt ist.
Getragene Kinder scheinen generell ruhiger und ausgeglichener zu
sein. Tragen und Schaukeln hat allgemein eine beruhigende Wirkung.
Das getragene Baby muss nicht laut schreien, wenn es ein
Bedürfnis äußern will, weil es sich in direktem
Kontakt zu der Bezugsperson befindet. So hat es die
Möglichkeit, eine Vielzahl anderer Ausdrucksmöglichkeiten
zu entwickeln. Auch wir haben diese Erfahrung gemacht. Da uns der
Kinderwagen oft zu lästig war, haben wir unsere Tochter Iris
auch viel getragen. Unterwegs ist sie immer ruhig gewesen, wir
können uns an kein einziges Mal erinnern, bei dem sie im
Tragesack geschrien hätte.
Viele Eltern empfinden das Tragen allgemein als sehr praktisch. Es
ist viel einfacher, sich in Menschenmengen fortzubewegen, man muss
keinen Kinderwagen zusammenfalten und mühsam im Kofferraum
verstauen. Anfangs hatten wir Iris im Kinderwagen gefahren, sind
aber sehr schnell dazu übergegangen, sie zu tragen, weil
auch wir den engen Kontakt als sehr schön empfunden haben.
Dagegen bereitete es uns weniger Freude, den Kinderwagen Treppen
herauf zu schleppen.
Vorurteile und Bedenken
Gerade von älteren Leuten hört man skeptische Meinungen,
was das Tragen betrifft. Ein häufiges Argument ist die Sorge,
dass der Rücken des Säuglings Schaden nehmen könnte.
Auch einige Ärzte halten es noch für erforderlich, dass ein
Baby flach liegt, da der kindliche Rücken in der ersten Zeit
noch nicht sehr stabil ist. Allerdings ist eher das Gegenteil der
Fall. Wenn das Kind in einer geeigneten Tragehilfe eng am
Körper getragen wird, kommt das der Entwicklung des
Rückens sogar entgegen.
Die Doppel-S-Form der Wirbelsäule bildet sich erst heraus, wenn
das Kind das Laufen lernt. Wenn es zur Welt kommt, ist der
Rücken zunächst gerundet und streckt sich nicht direkt. So
ist das flache Liegen für den Rücken eigentlich
ungünstiger. Trägt man das Kind allerdings am Körper,
nimmt es eine zusammengekauerte Haltung ein, so dass der
Rücken die natürliche runde Form beibehalten kann.
Allerdings ist zu beachten, dass eine geeignete Tragehilfe verwendet
wird. Es ist vor allem günstig, ein Tragetuch zu verwenden, da
man so das Kind eng an den Körper binden kann. Dagegen ist bei
handelsüblichen Tragesitzen nachzuprüfen, ob sie den
Rücken junger Babies genügend stützen.
Auch für die Entwicklung der Hüften ist das Tragen ideal.
Der Oberschenkelkopf sitzt ideal in der Hüftpfanne, wenn die
Beine gespreizt und angezogen sind. Aus diesem Grund wird vor
allem anfangs auch empfohlen, Kinder breit zu wickeln. Auf die
gleiche Art und Weise wird die kindliche Hüftdysplasie, eine
angeborene Fehlentwicklung der Hüfte, bei der der Gelenkkopf
nicht genügend von der Gelenkpfanne umschlossen wird,
therapiert: entweder durch breites Wickeln, oder, wenn das nicht
reicht, durch eine Spreizhose. Wenn das Kind in einer geeigneten
Tragehilfe vor dem Körper getragen wird, sind die Beine
ideal gespreizt, so dass Fehlentwicklungen der Hüfte
vorgebeugt oder entgegengewirkt werden können.
Andere geben zu bedenken, dass ein Kind gerade bei kaltem Wetter
friert, wenn man es trägt, wohingegen man es im Kinderwagen
warm zudecken kann. Natürlich sollte man darauf achten, dass
das Kind nicht auskühlen kann. Eng am Körper getragen
atmet das Kind jedoch zusätzlich angewärmte Luft ein.
Auch der gute Rat, das Baby durch Tragen nicht zu sehr zu
verwöhnen, taucht immer wieder auf. Man befürchtet, das
Tragen könne beim Kind zur Gewohnheit werden, die es so schnell
nicht wieder aufgibt. Das Gegenteil scheint jedoch der Fall
zu sein. Nähe und Körperkontakt sind ein kindliches
Grundbedürfnis, und ein Baby empfindet Stille und Einsamkeit
als bedrohlich. Es weiß instinktiv, dass es zum Überleben
auf seine Eltern angewiesen ist. Gibt man dem Kind einfach die
Geborgenheit, die es braucht, entwickelt es Urvertrauen und
Selbstbewusstsein, das es ihm ermöglicht, sich mit der Zeit von
selbst immer mehr von den Eltern zu lösen. Kinder scheinen eher
extrem anhänglich zu sein, wenn sie als Baby zu oft
alleingelassen wurden, weil sie dann das Bedürfnis haben, das
Versäumte nachzuholen.
Weitere Informationen
Auf den Webseiten der Firma Didymos,
einem Anbieter von Babytragetüchern, finden Sie eine sehr
umfangreiche Sammlung von Experten-Meinungen und Studien
zu diesem Thema.
Informationen von Eltern, die über ihre eigenen positiven
Erfahrungen mit der Verwendung von Tragetüchern berichten,
finden Sie zum Beispiel auf
www.trage-tuch.de
oder auf den
Webseiten von Cathrin Kilian.
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