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Fester Rhythmus beim Stillen notwendig?
"Still das Kind nicht so oft, es muss sich an einen festen Rhythmus
gewöhnen."
Wer kennt sie nicht, die gutgemeinten Ratschläge von Verwandten
und Freunden, aber auch von Hebammen und Kinderärzten, die
junge Mütter oft sehr verunsichern können. Nicht selten
hört man dabei die Empfehlung, einen Mindestabstand zwischen
den Stillmahlzeiten einzuhalten.
Die Begründungen dafür sind vielfältig. Das Baby soll
nicht zu sehr verwöhnt werden, damit aus ihm kein kleiner Tyrann
wird. Die Brust soll genügend Zeit haben, um sich wieder zu
füllen. Kinderärzte und Hebammen führen auch oft das
Argument an, dass sich bei zu häufigem Stillen frische mit
teilweise verdauter Milch mischt, was zu Blähungen und
Bauchschmerzen führen soll.
Grundlage für die Sorge um die Vermischung frischer mit
halbverdauter Milch sind wahrscheinlich Beobachtungen des
Kinderarztes Adalbert Czerny zu Beginn des 20. Jahrhundert an
Babies, die mit künstlicher Säuglingsnahrung (zur
damaligen Zeit überwiegend Kuhmilch) gefüttert wurden. Er
stellte fest, dass diese Kinder sich besser entwickelten, wenn
zwischen den Mahlzeiten ein Abstand von etwa vier Stunden
eingehalten wurde. Diese Vorgehensweise übertrug er auch auf
gestillte Kinder und legte dort ebenfalls einen Mindestabstand
für die Mahlzeiten fest. So hört man auch heute noch die
Empfehlung, das Kind nicht zu häufig zu stillen. Stillexperten
empfehlen heutzutage jedoch das Füttern nach Bedarf.
Im Gegensatz zu Kuhmilch ist Muttermilch optimal an die Verdauung
des Babies angepasst. Offensichtlich hat die Natur vorgesehen, dass
Babies öfter gestillt werden, denn nach einer halben Stunde hat
die Muttermilch den Magen bereits wieder verlassen und ist nach etwa
einer Stunde vollständig verdaut. Daher erscheint es nicht
sinnvoll, Regeln für das Stillen aufzustellen, die auf
Beobachtungen an nicht gestillten Kindern beruhen. Des weiteren
müssten alle Babies unter Beschwerden leiden, denn in dem
Augenblick, in dem Milch im Magen eintrifft, beginnt die Verdauung,
so dass sich während einer Stillmahlzeit immer frische mit
angedauter Milch mischt.
Gerade bei kleinen Säuglingen ist es wichtig, dass sie Nahrung
zu einem Zeitpunkt erhalten, zu dem sie sie auch wirklich brauchen.
Da ihr Magen sehr klein ist, sind sie nicht in der Lage,
größere Nahrungsmengen aufzunehmen, die länger
vorhalten sollen. Auch die Milchbildung kann nur optimal
funktionieren, wenn die Brust durch häufigeres Stillen
stimuliert wird. Es ist nicht nötig, abzuwarten, bis neue Milch
gebildet wird, da dies vor allem während einer Mahlzeit
passiert. Zuerst erhält das Baby die dünnflüssige
Vordermilch, die sich bereits in sogenannten Milchseen angesammelt
hat und vor allem durstlöschend ist. Während das Baby
trinkt, wird laufend neue Milch gebildet. Dies ist die
kalorienreichere Hintermilch.
Stillen in zu großen Abständen kann dazu führen,
dass die Milchbildung nicht mehr genügend angeregt wird. Nicht
selten wird dann angenommen, die Mutter habe zu wenig Milch, und es
wird empfohlen, zuzufüttern, was einen weiteren Rückgang
der Milch bis zum kompletten Abstillen zur Folge haben kann.
Leider wird bei Empfehlungen solcher Art oft vergessen, dass Stillen
für ein Baby weit mehr ist als bloße Nahrungsaufnahme.
Muttermilch enthält, wie mittlerweile bekannt ist,
Antikörper, die gegen Krankheitserreger schützen. So
könnte es bei Bauchweh sogar sinnvoll sein, zu stillen, weil
eine angegriffene Darmflora bei Infektionen des Verdauungstraktes
durch die Muttermilch geschützt und wiederhergestellt wird.
Und gerade im Sommer hat ein Kind öfter Durst.
Die beruhigende Wirkung des Stillens kann ein weiterer Grund sein,
warum ein Baby an die Brust will. Muttermilch reguliert den
Herzschlag, senkt den Blutdruck und scheint schlaffördernde
Substanzen zu enthalten, was erklärt, dass Babies häufig
beim Stillen einschlafen. Und oft bedeutet Stillen auch einfach
intensives Kuscheln bei der Mutter. Glücklicherweise sind sich
heutzutage auch alle Experten einig, dass Körperkontakt
für die Entwicklung eines Kindes ebenso wichtig ist wie die
Nahrungsaufnahme.
Das Einhalten von Mindestabständen zwischen den Mahlzeiten
wurde von Czerny auch aus erzieherischen Gründen empfohlen.
Aber verwöhnt man ein Baby, wenn man es nach Bedarf stillt?
Muss ein kleines Baby, das bisher nur eine kontinuierliche
Versorgung mit Nährstoffen aus dem Mutterleib kannte, denn
überhaupt so früh lernen, sich an einen Rhythmus
anzupassen?
Das Kind hat, wie jeder gesunde Mensch, die angeborene
Fähigkeit, selbst zu erkennen, wann es Nahrung benötigt.
Warum sollte man ihm das gleich am Anfang mit Gewalt
abtrainieren?
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