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Warum schläft mein Kind nicht durch?
Ich freue mich: heute findet das Babytreffen meines
Schwangerschaftskurses statt. Meine Tochter ist mittlerweile
zehn Wochen alt und, so finde ich, recht gut geraten. Sie ist
gesund, die schlaflosen Nächte, die sie uns bisher beschert
hat, halten sich in Grenzen, und sie will selten mehr als
zweimal pro Nacht gestillt werden. Ein oder zweimal hat sie
sogar schon sechs Stunden am Stück geschlafen, und das
finde ich für ein so kleines Wesen beeindruckend.
Wir Mütter nehmen in geselliger Runde Platz, Geschichten
über unsere Kleinen werden ausgetauscht, und das
Gespräch führt recht bald, wie sollte es auch anders
sein, zum Thema Durchschlafen.
Ich blinzele mit den Augen und will meinen Ohren nicht trauen.
Das Bild des Wunderkindes, das ich von meiner Tochter hatte,
verblasst immer mehr. Die anderen Kinder schlafen bereits alle
durch, und das für acht bis zehn Stunden. Keins von ihnen
ist älter als drei Monate. Und meine Tochter?
Offensichtlich kann sie mit diesen übermenschlichen
Leistungen nicht mithalten.
Angestrengt gehe ich noch einmal das Schlafverhalten meiner
Kleinen durch, und dabei wird nach Kräften idealisiert.
Waren es nicht doch mindestens fünf mal, die Iris bisher
durchgeschlafen hat? Und wenn ich genau nachdenke, eigentlich
sind es doch eher sieben als sechs Stunden gewesen. Oder
vielleicht sogar acht? Doch, mit Sicherheit ist es so gewesen.
Noch schnell ein bisschen in die Zukunft geblickt - in
spätestens einer Woche wird auch mein Kind durchschlafen.
Im Prinzip tut es das jetzt auch, nur will es noch nahezu jede
Nacht gestillt werden. Aber eigentlich auch wieder nicht ... nun,
wenn ich ganz ehrlich sein will ... ach, egal, ich behaupte
schnell: "Ja, Iris schläft auch schon öfters
durch!"
Ich habe also großspurig verkündet, dass Iris
eigentlich durchschläft, jetzt muss sie das nur
bestätigen. Tut sie es? Ich weiß nicht so genau,
will ich ganz ehrlich zu mir sein, stille ich sie jede Nacht
etwa zweimal.
Meine Tochter wird drei Monate alt, einmal schläft sie
wieder sechs Stunden am Stück, und ich schöpfe
Hoffnung. Die nächste Nacht kommt: Iris wird das erste Mal wach,
will gestillt werden. Vielleicht war es die erste und einzige
Nachtmahlzeit. Aber nein: zwei Stunden später meldet sie
sich bereits wieder, und nach eineinhalb Stunden wird die
dritte Mahlzeit angefordert.
Meine Verzweiflung wächst. Nicht nur, dass mein Kind nicht
durchschläft, jetzt hat es sogar den gepflegten
Vier-Stunden-Rhythmus verlassen. Und ich kann von Glück
sagen, dass ich nicht zusätzlich unter Druck gesetzt werde. So
manche Mutter hat es in dieser Hinsicht sehr schwer, denn Familie
und Bekannte versuchen ihr mit allen Kräften weiszumachen,
ihr Baby sei nicht normal. Aber auch das würde mich nie auf
die Idee bringen, die Bedürfnisse meines Kindes zu
ignorieren. Ich bin zwar am Boden zerstört, dass mein
Kind scheinbar aus allen Maßstäben herausfällt,
aber wenn das Baby gestillt werden will, braucht es das.
Letztendlich tröste ich mich damit, dass mein Kind einen
Wachstumsschub durchmacht, der sicher in kürzester Zeit
ausgestanden sein wird. Und eigentlich hat sie ja nicht alle
zwei Stunden nach ihrer Muttermilch verlangt. Es waren doch
eher drei Stunden, mit Sicherheit. Bloß nicht mehr
nachrechnen, es waren bestimmt drei Stunden. Und damit sind
Iris und ich nur geringfügig von der Norm abgewichen.
Die Wochen kommen und gehen, aber warum schläft das Kind
noch immer nicht durch? Ich mag gar nicht mehr an die anderen
Kinder denken. Wenn die bereits mit zwei Monaten durchschliefen,
über was für erstaunliche Fähigkeiten werden sie
jetzt verfügen? Melden sie sich, wenn es Punkt 18:00 Uhr
ist und sie ins Bett gehören, bereiten sie sich selbst die
abendliche Flasche zu? Meine Tochter ist mittlerweile ein halbes
Jahr, und immer noch ist alles beim alten. Zwar will sie jetzt
meistens nur noch einmal pro Nacht gestillt werden, aber das
noch mit einem halben Jahr?
Ich lasse mich trotzdem nicht beirren und stille weiter, wann
immer mein Kind danach verlangt. Aber es ist nicht ganz einfach,
wenn ich an die idealen Kinder um mich herum denke, und ich
frage mich zum wiederholten Mal: Wie haben diese Eltern das
bloß geschafft?
Und dann, mit etwa neun Monaten, brechen auch bei uns
goldene Zeiten an. Das Kind beginnt durchzuschlafen! Zwar
meldet sie sich hin und wieder nachts, aber sie trinkt
eigentlich gar nicht mehr richtig, sondern nuckelt nur etwa
fünf Minuten, dann ist sie wieder eingeschlafen. Die
unterbrochenen Nächte werden immer seltener, und mit etwa
einem Jahr kann ich richtig guten Gewissens sagen: "Mein
Kind schläft durch!"
Mittlerweile bin ich ein gutes Stück schlauer, was das
Thema "Durchschlafen" betrifft. Ich habe genügend
Expertenmeinungen
gelesen, denen zufolge es von der Natur
vorgesehen ist, dass Kinder über längere Zeit auch
nachts regelmäßig gestillt werden. Und bei allen
Wunderkindern drängt sich bei mir der Verdacht auf, dass
deren Eltern bei ihren Erzählungen mindestens genauso
kräftig idealisiert haben wie ich.
So werde ich beim zweiten Kind selbstbewusst sagen
können: "Nein, mein Baby schläft noch nicht
durch, na und?"
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